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Wo man sich nicht erklären muss

Ein Stück Heimat ist –

wo man sich nicht erklären muss

Unser Zug führt uns an weißblühenden Schlehen vorüber. Dahinter leuchten schon die ersten hingehauchten Blüten der Wildkirschen, neben erbsengrün schimmernden Ahornzweigen. Bühende Forsythien begrenzen die Gärten, in denen wir im Vorüberfliegen noch Rotpflaumen und Magnolien erkennen. Den Boden bemalen die weißen Flecken der Buschwindröschen.

Da sind wir geblieben! Wer als Nordlicht flackert –

muß die Landschaft lieben, wo die Graugans gackert!

Der Weg vom Bahnhof  führt an einem Zoo vorüber, in dem sich  die rostig-roten Federkleider der steifbeinigen Flamingos  gegen den grünen Rasen abheben. Begrenzt von einem Gitter zur Straße hin und den kräftigen Mustern der gesetzten Stiefmütterchen nach innen.

Karlsruhe ist keine auffallend schöne Stadt im strengen Sinn. Aber es ist ein lebendiger Ort, mit auffallend vielen jungen Menschen, die oft auf Fahrrädern und mit Anhängern in denen noch kleine Kinder sitzen vorbei sausen. Viel Grün ist in dieser Stadt zu sehen, zwischen  interessanten  Geschäften, Cafés und Restaurants. Den belebten Märkten mit Blumen oder Gemüsen, mit Fisch und mit regionalen Erzeugnissen. Auch eine Oper gibt es, die Manchem erst auf den zweiten Blick gefällt mit seinem heiteren Musengaul von Goertz davor.

Karlsruhe ist für seine Bürger am Reißbrett entstanden.

Für uns bietet es aber auch noch einen zweiten Einstieg in ein gedachtes Bilderbuch in Form der originell und geschmackvoll eingerichteten Wohnung unseres Freundes mit einem zauberhaften Dachgarten und vielen besonderen Pflanzen. Dies alles in einem mehrstöckigen Wohnhaus und nach endlosem Aufstieg über unzählige Stufen.

Es fällt nicht leicht, sich aus dieser Wohnung später wieder loszureißen. Doch lockt das Wetter in die Stadt und in den liebevoll gestalteten Zoo mit Elefanten, Tigern, Flamingos, Pinguinen, zwei Eisbären und vielen anderen Tieren und blühenden Pflanzen. Und mit ebenso vielen jungen Leuten und ihren Kindern als Besucher. Ein Teil des Tiergartens, der durch einen Brand zerstört war, wird wieder aufgebaut. In einer langen Reihe hängen dort Bilder und kleine Briefe der Kinder an dem Bauzaun, die ihren durch den Brand umgekommenen Lieblingstieren noch eine letzte Botschaft überbringen sollen.

Von dem höchsten Punkt des Tierparks aus, dem Lauterberg, gibt es eine herrliche Sicht weit über die Stadt bis zu den sanften Hügeln des Schwarzwaldes, des Odenwaldes auf der anderen Seite und der Vogesen.

Das Opernhaus in Karlsruhe kannten wir bereits von einer schönen Aufführung des Freischützes vor zwei Jahren. Die Oper „Euryanthe“ dagegen gibt es nur selten zu sehen. Ein spätes Werk Carl Maria von Webers mit einer Handlung, die nicht nur Frauenrechtlerinnen staunen  lässt:  Mit Treueprobe und Verrat, mit einem gebrochenen Eid und irrer Eifersucht. Mit wilden Racheschwüren und einer über die Bühne irrenden Seele, die auf Erlösung wartet. Zuletzt entscheidet ein Gottesurteil. Es ist  eine schwer nachvollziehbare Handlung nach der Moral einer vergangenen Männergesellschaft zu dieser wunderbaren, ausdrucksvollen Musik, die mehr besagt, als der Text über der Bühne.

Auch hier haben wir wieder das Glück, hervorragende Sänger zu erleben, vor allem Christiane Libor als Euryanthe, Sabina Willeit als falsche Freundin Eglantine, Lukas Schmid als ratloser König Ludwig VI, Klaus Schneider als der wenig verlässliche Adolar und Armin Kolarczyk als verschmähter, rachsüchtiger böser – aber nicht unattraktiver  Lysiart.  Begleitet durch ein einfühlsames Orchester und einen hervorragenden Chor.

Den schönen Abend beschließt ein netter Ausklang mit lebhaften Gesprächen bei badischem Wein. Er blättert nach wenigen Stunden zur nächsten Bilderbuchseite um.

Bei strahlendem Wetter fahren wir am nächsten Morgen nach Baden-Baden, das mir bisher nur aus alten Erzählungen bekannt war. Turgenjew, Leo Tolstoi und andere Russen haben einmal hier gelebt. Von Turgenjew sind  in diesem Städtchen sogar zwei wichtige Werke entstanden: „Väter und Söhne“ und „Dunst“. Aber auch deutsche Dichter, wie Johann Peter Hebel u. a. waren hier zu Gast und Komponisten wie Johannes Brahms und seine große Liebe – Clara Schumann.

An diesem sonnigen Frühlings-Tag führte uns der Bus also hinauf in eine immer noch attraktive gepflegte Kurstadt mit feinen Anlagen, in denen alte Bäume über blühenden Rabatten stehen. Und mit einem kleinen Fluss, dem Oos und blühenden Kamelien an den Ufern. Dahinter und noch weiter stehen teure Villen, schöne alte Kurhäuser, ein ehemaliger Bahnhof dient als Vor-Kulisse an dem modernen Opernhaus. Sehr sehenswert ist auch das Burda Kunstmuseum oder das alte Kloster Lichtenthal, in dem noch Benediktinerinnen leben. In der Innenstadt wiederum sieht man  komfortable Auslagen vor modischen Läden und Cafes, die nach köstlichen Kuchen duften. Auch Häuser, die so hübsch und gepflegt sind, dass man sich einfach freuen muss, in einem Land zu leben, das immer noch diesen Luxus erlaubt.

Ein Luxus, der schon jetzt wieder viele Russen anlockt. Auch sicher Millionäre, Spieler, Gaukler und Betrüger. Und trotzdem kommt dieser sichtbare Reichtum, wie man an den vielen Menschen sehen kann, uns allen zugute. Indem man sich erlauben darf, durch die gut erhaltenen alten Trinkhallen zu wandern, sich einen Becher dieses Wassers zu gönnen, die Blumen in den Parkanlagen und die alten Bäume darüber zu bewundern.  Und später den üppigen Kuchen in dem vollbesetzten Kaffeegarten, unter Kastanienbäumen zu genießen.

Ein herrlicher Tag, der noch mit einem weiteren besonderen Erlebnis, einem mehrgängigen köstlichen Menu,  das unser Freund in seiner Küche zu zaubern verstand und bei entspannten und interessanten Gesprächen spät enden sollte.

Ein Thema an diesem Abend war auch der Gedanke um das Verständnis von Heimat. Wo wir wohl unsere Heimat empfinden, wenn wir sie denn überhaupt  suchen?

Ein irgendwann zitierter Satz, den uns Joachim mitgab lautet: „Heimat ist, wo man sich nicht erklären muss.“

So könnte ein Stück „Heimat“ vielleicht in der Familie – aber auch in guter alter Freundschaft zu finden sein?

J. A.