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Kleine Geschichten aus Norddeutschland

Noch eine Geschichte

Wer von Ihnen kann sich wohl noch an das Ehepaar Mehnert aus Hemslingen erinnern?

Sehr viel Zeit ist seit damals vergangen…

Mehnerts wohnten in einem kleinen Flachdachbungalow in Hemslingen, in der Rosenstraße. Der Straßenname passte gut, weil auch an dem Haus und vor der Garage prächtige Rosen blühten.

Herr Mehnert lachte gerne. Er war von Natur aus ein fröhlicher Mensch. Man freute sich jedes Mal, wenn man seinen ovalen Kopf mit dem spärlichen Haarkranz um den Scheitel herum erblickte. Ursprünglich kam Werner Mehnert aus Sachsen. Mit 19 Jahren war er in englischer Kriegsgefangenschaft an Kinderlähmung erkrankt. Seitdem saß er im Rollstuhl.

Frau Mehnert, dagegen, kam aus Hamburg. Sie war etwas älter als ihr Mann und viel ernster und auch kritischer. Ihre Haare waren grau, ihr Mund wirkte oft verbittert. Liselotte Mehnert hatte eine schwere Kindheit hinter sich. Später erlebte sie auch die Bombardierung von Hamburg-Harburg aus nächster Nähe. Aus ihrer ersten Ehe, brachte sie zwei Kinder mit. Zwei weitere Kinder bekam das Ehepaar gemeinsam. Dazu adoptierten sie noch einen kleinen Jungen aus dem Waisenhaus.

Mehnerts hatten den inneren Drang, so kann man wohl sagen, ihr eigenes schweres Schicksal durch Güte und Menschenfreundlichkeit auszugleichen!

Dazu waren sie beide sehr religiös und erlebten ständig irgendwelche kleinen Zufälligkeiten und Wunder, die ihr Tun bestätigten.

Herr Mehnert, der trotz seiner Behinderung geschickt war, arbeitete nach seiner Pensionierung einen hilfreichen Plan für behinderten-gerechte Wege in der Region aus. Er gründete auch einen Verein für arbeitslose junge Frauen auf dem Lande mit, was in jener Zeit sicher wichtig war.

Frau Mehnert dagegen machte regelmäßig Besuche im Altenheim. Und als sie später nicht mehr mit dem Auto dorthin kam, lud sie die Altenheimbewohner zu sich ein. So dass eine ganze Gruppe von alten Menschen regelmäßig mit einem Kleinbus nach Hemslingen kam. Dort bewirtete Frau Mehnert sie mit selbstgebackenem Kuchen und mit Kaffee und hörte ihren Erzählungen zu.

Diese Nachmittage im privaten Umfeld, waren bei den Heimbewohnern sehr beliebt.

Noch viel könnte ich hier aufzählen, was sich die beiden Eheleute alles für andere Menschen ausdachten. Aber ich möchte auch erwähnen, dass sie selbst noch ihre besonderen Freuden hatten. Wenn, zum Beispiel an manchen Feiertagen die Kinder und Enkel nicht zu Besuch kamen, fuhren sie mit dem Auto nach Hamburg oder nach Leipzig oder in eine andere Stadt und genossen dort schöne Konzerte. Sie lasen sich auch gegenseitig vor – und waren überhaupt interessiert an klassischer Musik und an Literatur.

Als besonderes Zeichen der Verbundenheit, begrüßten sie sich und ihre Freunde gerne mit dem Friedensgruß „Shalom“.

Völlig unerwartet starb Herr Mehnert eines nachts, nach einer starken Erkältung an Lungenentzündung. Gerade am Abend davor hatte ich noch mit ihm telefoniert. Ganz heiser klang da sein letztes „Shalom“.

Nach seiner Beerdigung, fiel seine Witwe in eine tiefe Traurigkeit. Nichts konnte sie mehr aufheitern. Auch ihre Kinder gaben sich vergeblich Mühe. Frau Mehnert wurde immer düsterer und grauer.

Bis sie eines Abends doch wieder zu der Lieblingslektüre ihres Mannes griff, dem Buch, das sie zuletzt gemeinsam gelesen hatten!

„Stellen Sie sich vor!“ rief sie am nächsten Morgen aufgeregt ins Telefon. „In dem Buch lagen ein 50 Euro Schein von meinem Mann und ein Zettel, „Liebe Liselotte, geh doch wieder einmal zum Friseur und gönn dir eine schöne Frisur!“

In einem anderen Buch fand sie sogar noch einen hundert Euroschein mit der Empfehlung „Kauf dir bitte dafür ein neues Sommerkleid!“

So fand sie immer wieder Grüße ihres verstorbenen Mannes in allen möglichen Büchern und anderen Verstecken. Manchmal lag auch nur ein kleiner Zettel dazwischen, mit ihrem gemeinsamen Gruß „Shalom“.

Viele Jahre sind seither vergangen. Längst ruht auch die alte Frau Mehnert neben ihrem Mann auf dem Hemslinger Friedhof.

Das kleine Haus ist verkauft. Und ihre Kinder sind vermutlich selber schon im Rentenalter.

Shalom!

J. A.

2 Kommentare

  1. Jessica Mehnert

    Sehr geehrte Frau Amthor,

    durch Zufall bin ich auf Ihren Artikel gestoßen…
    Es freut mich sehr, daß Ihnen meine Großeltern in so guter Erinnerung geblieben sind.

    Ich bin mir nicht sicher, ob die „Namensänderung“ beabsichtigt war oder nicht, mein Großvater hieß es aber nicht Herbert mit Vornamen…

    Trotzdem war es für mich spannend diesen Artikel zu lesen.

    Mit herzlichen Grüßen
    Jessica Mehnert

    • Ich freue mich, dass Sie den Bericht über Ihre Großeltern gerne gelesen haben! Diese beiden Menschen waren wirklich eine Bereicherung für die ganze Gegend und sollten nicht vergessen sein. Allerdings waren wir, trotz der Nähe, bis zum Schluss immer beim „Sie“ geblieben. Möglicherweise ist mir darum der Vorname Ihres Großvaters, der ja Werner hieß. beim Schreiben falsch in Erinnerung gewesen? Das tut mir leid! Ich bessere es gerne aus. Mit herzlichen Grüßen! Ihre Johanna Amthor

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