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Robby lässt sich nicht ersetzen – kleine Geschichten aus Norddeutschland

Sankt Martinsumzug oder

Robby lässt sich nicht ersetzen

Ich hatte es schon einmal erzählt. Aber nun wurde ich wieder daran erinnert. Denn gestern tummelte sich wieder ein Sankt Martins Umzug durch die Stadt. Der Heilige saß hoch auf dem Schimmel und die kleinen Kinder trippelten mit ihren bunten Laternen singend hinter ihm her. Von der evangelischen Kirche aus ging es diesmal zur katholischen Kirche. Wo schon das Martins- Feuer brannte und jedes Kind einen frisch gebackenen Weckmann* bekam.

Laterne, Laterne, Sonne Mond und Sterne…

Wie damals, als wir vor vielen Jahren aus Süddeutschland hierher gezogen waren.

Der katholische Pfarrer wirkte erstaunt, als ich mit meinen Kindern zum Martinsumzug gehen wollte. Wir hatten extra schöne Laternen gebastelt. Zwei große runde Schmelzkäse-Schachteln mit Butterbrotpapier außen herum und mit bunten Laubblättern beklebt. Ein Teelicht beleuchtete die Umrisse der getrockneten Ahorn- und Eichen – Blätter.

„Hier gibt es keinen Martinsumzug! Wir sind in der Diaspora. Die Leute feiern keinen Sankt Martin **. Außerdem haben wir kein Pferd!“ Er seufzte. „Oder können Sie mir vielleicht ein Pferd beschaffen?“

„Nächstes Jahr!“ Ich dachte an unser Nachbarmädchen, das so geschickt auf ihrem Großpony reiten konnte, dass sie keinen Sattel brauchte.

„Das mach ich gern!“, antwortete die Kleine. „Aber mein Robby muss erst lernen, keine Angst vor den hellen Laternen und dem Feuer zu haben! Damit er nicht scheut!“

Und dann übten die Beiden schon ab Oktober, an offenem Feuer vorbei zu gehen. Und das braune Pony wurde in den nächsten Jahren zum beliebten ökumenischen Sankt – Martins Pferd. Als das Nachbarmädchen zu groß für den Ponyrücken wurde, stieg der jüngere Bruder in das Martinskostüm. So vergingen wieder ein paar Jahre.

Doch irgendwann meinten die Eltern, dass Robby nun zu alt für diese Tätigkeit sei. Die Kinder wären zu schwer auf seinem Rücken. Man könne aber das andere Pferd nehmen, die schöne weiße Ronja, die auch vor den Laternen hergehen kann…

Der Martinstag kam. Der Umzug sollte diesmal von der evangelischen Stadtkirche über verkehrsarme Wege zur katholischen Kirche führen. Die Kinder standen schon mit ihren leuchtenden Laternen bereit. Die Eltern sahen sich um. Wo blieb nur der heilige Martin mit seinem Pferd? Wir warteten 10 Minuten, 20 Minuten, 25 Minuten. Es wurde langsam kälter. Einige Leute wirkten ungeduldig. Ich versuchte zu telefonieren.

Da, endlich – endlich erschien die Nachbarin mit ihrem großen Wagen und dem Pferde-Anhänger. Doch zu unserem Erstaunen, traten aus dem Anhänger gleich zwei Pferde heraus!

„Weißt du“, erklärte mir die Nachbarin, „als wir mit Ronja losfahren wollten, stand der Robby bereits im Hänger! Er hatte sich so sehr auf seinen Auftritt gefreut! Er wollte einfach nicht mehr aussteigen! Darum haben wir jetzt beide Pferde mitgebracht.“

Dicht neben einander, trotteten nun zwei Martins-Pferde friedlich vor den Laternen einher. Die Kinder hielten ihre Lichter hoch und sangen Martins-Lieder.

J. A.

* Ein Weckmann ist ein traditonelles Hefegebäck in Form eines Mannes.

** Inzwischen ist auch hier der Martinsumzug zur Tradition geworden. Und der gute alte Robby befindet sich längst im Pferdehimmel. Andere Pferde haben seine Rolle übernommen. Aber der brave Robby sollte nicht vergessen sein.