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Masuren – eine Reise mit Rad und Schiff

Masuren

Die Reise war eine wunderschöne Idee, die sich unsere Kinder für uns ausgedacht hatten! Sogar das Wetter strahlte an den meisten Tagen. Und die Landschaft gehört zu den reizvollsten Bilderbuchlandschaften, mit endlosen sanften Hügelketten, klaren Seen und dichten Wäldern.

Die Wege sind gewunden, die Strassen meist holperig. Viel Sand gibt es, so dass manchmal das Fahrrad darin stecken bleibt. In den Urwaldgebieten  wachsen Frauenschuh und blühendes Knabenkraut. Seltene Vögel sind an den Seen zu beobachten, Seeadler und Möwen, wilde Gänse, Eulen und Entenfamilien, Kormorane und zahlreiche Schwäne. Am häufigsten aber sieht man die großen Weiß-Störche in jedem Dorf, wo sie auf Dächern und Telegraphenmasten in runden Nestern hocken und mit ihren langen Schnäbeln, wie mit riesigen Pinzetten, ihre Jungen füttern. Hunderte von Störchen stochern auch in den feuchten Wiesen herum. An manchen Anhöhen gibt es dann wieder pralle Weizenfelder auf gutem Boden. Während Klatschmohn, Kamille und leuchtende blaue Kornblumen, an anderen Stellen, an die Bilder französischer Impressionisten erinnern.

Die Menschen sind dort freundlich und wirken sehr geduldig. Immer wieder kommen einem auf den unmöglichsten Wegen Autofahrer entgegen, die ruhig anhalten und uns vorüber lassen. Die Autos bleiben auch vor den Zebrastreifen stehen. Und niemals habe ich ein ungeduldiges Hupen gehört. Auf den breiteren Autostraßen fahren die Polen dagegen gewagter aber doch aufmerksam. Sie beharren nicht unbedingt auf ihrem Recht, sondern achten auf das Geschehen um sie herum und ordnen sich dem ein. Mehrmals kamen wir an Schulklassen vorüber, wo die Kinder freundlich winkten.

Unterwegs wurde uns viel über die jüngste polnische Geschichte und über die russische Besatzungszeit erzählt. Alles sitzt noch tief. Immer schon hatten die Polen Unterdrückung, Teilungen und Vertreibungen erlitten. Ihre Überlebenskraft gab ihnen ihre Religion, ihr unbeugsamer Katholizismus. Einzig das Land Masuren ist evangelisch geprägt, „Augsburgisch – evangelisch“, wie sie es nennen.

Polen

Heute ist Polen ein sehr aufstrebendes Land. Die Menschen sind stolz auf das, was sie seit der Wende geleistet haben. Und als größter wirtschaftlicher Investor ist Frankreich zu nennen, gefolgt von Italien. Deutschland steht erst an fünfter Stelle. Immer noch arbeiten viele Polen als Saisonarbeiter im Ausland, jetzt vor allem in England. Während ihre Angehörigen daheim schon mit dem dort verdienten Geld Geschäfte und Häuser aufbauen. Neben der riesigen katholischen, ja fast schon als Staatsreligion geltenden Kirche, gibt es noch eine kleine jüdische Gruppe unter 0,01 %. Etwas mehr Juden leben in Warschau, wo wir am ersten Tag in der Gemeinde zum Essen eingeladen waren.

Warschau

Übrigens hat es in Warschau nicht, wie viele Deutsche meinen, nur einen, sondern zwei Aufstände gegeben! Zuerst den 1943 sehr blutig niedergeschlagenen Gettoaufstand. Und dann den ebenso grausam niedergeworfenen Warschauer Aufstand im Jahr 1944. Ein Wunder, dass Warschau heute wieder so schön ist! Jedenfalls in der Innenstadt, mit vielen Cafés und Restaurants und historischen Gebäuden. Alle diese Gebäude sind nach alten Plänen neu errichtet worden! Nur wenige Mauern stehen noch aus der Zeit von vor dem zweiten Warschauer Aufstand. Man kann sie an den Einschusslöchern erkennen.

Fahrrad Strecken

Aber nun zurück zu unserer Fahrradtour! Unsere Räder gehörten zum Schiff und waren in bestem Zustand. Sie hatten 7 Gänge, die man bergauf und bergab, vor allem aber im Sand oder Matsch auch unbedingt benötigte. Unsere Gruppe bestand aus 15 Teilnehmern. Die jüngste Teilnehmerin war 40, die älteste 79 Jahre alt. Die ganze Gruppe wirkte sportlich und es gab keinen einzigen Miesmacher und auch keinen Raucher dabei. Unsere Tagesstrecke betrug etwa 60 Kilometer. Manchmal weniger, dann wieder mehr. Zwischendurch fanden die ausführlichen Besichtigungen statt. Ab und zu mussten wir die Räder durch den tiefen Sand schieben. Unsere Begleiter waren ein junger Religionswissenschaftler und Historiker, der in Bayreuth studiert hatte und ein junger Literaturwissenschaftler aus Warschau. Beide wirkten sehr belesen und auch sehr bemüht und nett.

Die Unterkunft

Auf dem Schiff verwöhnte uns ein freundlicher polnischer Koch in einer köstlichen Uniform mit Goldlitzen und hoher Küchenchefmütze. Dann gab es noch einen jungen Stuart, der mit seinem Lächeln alle Damen bezauberte und einen Matrosen, der die Koffer trug. Dazu kamen an manchen Anlegeplätzen drei junge Frauen, die in der Küche halfen und unsere Kabinen reinigten. Das Schiff legte täglich an unterschiedlichen Stationen an, von wo aus wir unsere Radtouren begannen. Das Angenehme, außer der netten Mannschaft war, dass es abends landestypische Speisen gab. Ganz besonders gut schmeckten uns die polnischen Suppen, davon gab es jeden Abend zwei Sorten zur Auswahl. Außerdem gab es mehrere Salate und frisches Obst. Nach dem Abendessen wurden von unserem Begleiter kurze Geschichten von Siegfried Lenz, Arno Surminski, Gräfin Dönhoff und von Ernst Wiechert vorgelesen.

Wir besichtigen auch das völlig marode Schloss des ehemaligen Gutsbesitzers Graf Heini Lehndorff. Auch dieser angesehene Gutsherr wurde,  wie Graf Stauffenberg, nach dem Anschlag des 20. Juli hingerichtet. Ein anderes Mal sahen wir die Wolfsschanze, dieses wuchtige, im tiefsten Wald verborgene Bunkergelände von Hitler. Wo auch zahlreiche ausländische Staatsgäste empfangen worden waren! Bevor die Russen näherrückten und Adolf Hitler mit seinen Mitbewohnern das Weite suchte. Ein unheimlicher Wald im Moor, mit grauen Felsbrocken, die aus gesprengten Bunkerwänden bestehen und mit großen stechenden Insekten, die einen zäh um-surren.

Das Wohnen auf dem leise schwankenden Schiff im klaren Wasser mit den kleinen Wellen und hochspringenden Fischen, das Radeln durch die endlose Natur, die Vielfalt der Pflanzen und der Tiere, das sommerliche Wetter aber auch der bedrückende geschichtliche Hintergrund, die Kriege, die ermordeten Juden, die Vertreibung der Millionen Deutschen und ihrer Kultur. Dies alles ist viel tiefer bewegend, als man es jetzt so hinschreiben kann. Es zieht uns durch die Träume, so lange man dort ist und folgt einem bis hierher. Aber alles zusammen ist wie ein seltsames Buch in vielen Sprachen und mit impressionistisch anmutenden Bildern. Kein Wunder, dass so viele Dichter aus Masuren stammen und dass sie Heimweh nach diesem Land haben!

J. A.

P. S. Einige Namen, von Orten, die wir bei unserer Fahrrad-Fahrt gestreift hatten. Warschau, Spiering See, wo das Schiff wartete. Wegorzewo, die Partnerstadt von Rotenburg/Wümme, Nikolaien, eine wunderschöne Stadt zwischen den Seen, Tschenstochau, mit der berühmten Schwarzen Madonna, Heiligenlinden, ein bekannter Wallfahrtsort…