1. Der Unfall
Es war nach dem unerwarteten Sieg der deutschen Fußballmannschaft über Ungarn. Ein Rausch der Freude hatte uns alle erfasst!
Aufgekratzt radelten auch wir Freundinnen am nächsten Morgen, wild gestikulierend, zum Gautinger Bahnhof. Wir waren früh dran. Ich wollte rechtzeitig in der Schule sein, denn die Vorbereitungen für das Examen standen bevor.
Bei diesen lebhaften Diskussionen aber kamen sich unsere Fahrräder plötzlich so nah, dass sich die Lenkstangen ineinander verhakten. So fielen wir beide, nach einigen unglücklichen Schwankungen, auf den harten Asphalt der Straße. Das heißt, nur meine Freundin Hannelore kam direkt auf den Boden. Während ich geradewegs in den aufragenden Lenker meines Fahrrads stürzte. Ein stechender Schmerz jagte durch meinen Körper. Ich schnappte nach Luft und konnte nicht mehr aufstehen. Dann fror ich, klapperte mit den Zähnen, brabbelte flüsternd vor mich hin… Irgendwann merkte ich, dass jemand eine Decke über mich breitete.
Im Krankenhaus bekam ich sofort eine Eisblase auf den Bauch. Dann wurde ich geröntgt, beklopft, abgetastet und es wurde immer wieder Blut abgenommen. Man befürchete einen Riss in der Leber. Fünf Wochen dauerte mein Aufenthalt im Tutzinger Krankenhaus. Und gleich danach wurde ich noch wegen einer akuten Blinddarmentzündung in der Chirurgischen Klinik, in der Lothstraße, in München operiert. Dieser neue Krankenhausaufenthalt zog sich über drei Wochen hin.
In der Zeit legten meine Kolleginnen ihre Abschlussprüfung ab. Und das Examen vor der Bayerischen Ärztekammer war für dieses Jahr vorbei!
Doch was sich mir damals als großes Pech darstellte, sollte sich später als glückliche Fügung entpuppen. Denn durch diese unfreiwillige Verzögerung der Abschlussprüfung, durfte ich in dem großen medizinischen Labor von Prof. Dr. Dr. Dirr hospitieren. Dadurch konnte ich nicht nur etwas Geld für die lange Zwischenzeit verdienen, sondern auch wichtige Kenntnisse für den späteren Beruf einer Medizinischen Laborantin gewinnen.
2. Die Zeit in der Praxs Dr. Stengel
Rückblickend muss ich gestehen, dass ich selbst nach dem Examen, das mir nach dieser langen Vorbereitungszeit sehr leicht fiel, mit nunmehr 20 Jahren noch ein Kind war: Unpraktisch, unorganisiert, romantisch, verträumt, schüchtern und etwas keck zugleich.
Auch meine ersten Arbeitgeber sahen mich darum wohl eher als eine Tochter an, zumal sie keine eigenen Kinder hatten.
Ich hätte keine bessere Anfangsstelle bekommen können, als bei diesen beiden freundlichen Menschen! Bei ihm, einem ruhigen, ausgeglichenen, freundlichen Bayern. Bei ihr, einer aparten, lebhaften, kameradschaftlichen Frau aus Kärnten. Kennengelernt hatten sich die Ehegatten beim Wandern in den Alpen.
Dr. Stengel war Internist, wie sein verstorbener Vater. Als einziges Kind, hatte er das schöne Haus und zugleich die Praxis in der Uhlandstraße geerbt.
Ein kurzer Weg vom Münchner Hauptbahnhof brachte mich jeden Morgen dorthin. Hohe Räume mit stuckverzierten Decken, mit Eichenparkett, persischen Läufern, holländischen Fliesen in den Waschräumen und zahlreichen Türen. Sie alle führten nicht nur zu den verschiedenen Zimmern, sondern verbanden diese auch miteinander. Der geräumige Warteraum lag ganz links vom Eingang neben dem Behandlungszimmer, dahinter kam das Büro. Im Flur, gegenüber, befand sich die Toilette und hinter einer Windung des großzügigen Vorraumes lagen die Wohnräume des Ehepaars Stengel. Daneben gab es aber noch eine zweite Küche und ein großes Wohnzimmer, in dem die alte Mutter des Arztes mit ihrer Haushälterin, Walli, wohnte. Von dieser Küche aus, wehte jeden Mittag ein betörender Geruch nach feinsten Speisen bis in mein Labor, während es weiter vorne, wo die österreichische Küche begann, meistens nach Bratkartoffeln roch.
Als junges Küken, wurde ich in der Mittagszeit mit mancherlei Genüssen verwöhnt! Nur sollte die eine Köchin nicht merken, dass mich die andere ebenfalls mit Kuchen und Lebkuchen, mit Kakao und Kaffee und mit anderen Speisen fütterte!
Dies zu verbergen, fiel mir nicht schwer, da mein Arbeitsplatz ganz weit hinten, am Ende des langen, geknickten Gangs lag. Ein helles, schmales, schlauchartiges Zimmer mit einer abwaschbaren Arbeitsplatte, mit Bunsenbrenner, Laborschränken, zwei Waschbecken und natürlich mit Erlmayerkolben, Bechergläsern, Chemikalien und Pipetten. Ein Autoclav zum Sterilisieren war auch vorhanden und ein binokulares Mikroskop mit einem drehbaren Sessel davor.
Mein Schreibtisch mit der mechanischen Schreibmaschine sowie einige Fachbücher befanden sich in dem zweiten Abschnitt des gestreckten Raums, der noch mit einer Glastür zum Park hinunter zeigte. Unsere Patienten kamen meist direkt aus dem Besprechungszimmer zu mir. Sie brachten einen Zettel mit, auf dem stand, welche Labor-Untersuchungen gemacht werden sollten. Manchmal begleitete sie auch der Doktor nach hinten.
In der Sprechstunde aber half ihm Frau Stengel, die auch die Karteikarten und die Bücher führte. Leider ging diese harmonische Zeit in der Uhlandstraße doch irgendwann zu Ende. Von vornherein hatte ich gewusst, dass mich die überschaubare Praxis nicht vollzeitig beschäftigen konnte. Sie ist mir jedoch in bester Erinnerung geblieben.
3. Kultur, damals in München
Trotz des geringen Einkommens, war meine Münchner Zeit auch geprägt von besonders vielen schönen und kulturellen Eindrücken. Von häufigen Konzert- und Theaterbesuchen, von Opern und Kunstausstellungen und von spannenden Besuchen im Deutschen Museum. Meistens fuhren wir in einer kleinen Gruppe mit der Bahn von Gauting nach München. Wir, das waren meine Brüder, ein Cousin, meine Freundin Hannelore und vor allem die Heckl – Kinder*. Wir alle hatten wenig Geld zur Verfügung aber irgendwie schafften wir es doch, diese interessanten Ausflüge zu unternehmen. Und der gutherzige Stephan Kren, der gerade in München Musik studierte, versorgte uns mit Freikarten für die Konzerte.
Ein besonderes Erlebnis mit dem Ehepaar Stengel möchte ich aber noch zum Schluss erwähnen. Da sie beide wussten, dass ich gerne Opern oder Operetten mochte, wurde ich von ihnen zu einer der ersten Aufführungen von „My fair Lady“ mit Carola Ebeling in München eingeladen. Anschließend kehrten wir im Bayerischen Hof ein und mein alter Chef erzählte manches aus seiner Familiengeschichte, die irgendwie auch mit Franz Joseph Strauß und mit dem Bayerischen Hof und überhaupt mit der schönen Stadt München verbunden war…
J. A.
Glückenspiel – Schäfflertanz in München am Marienplatz
* Die Heckl Kinder waren eigentlich Teenager und hießen Heidrun, Herwig und Helga. Bis heute stehen wir in Verbindung.
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Es war nach dem unerwarteten Sieg der deutschen Fußballmannschaft über Ungarn. Ein Rausch der Freude hatte uns alle erfasst!
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Bei diesen lebhaften Diskussionen aber kamen sich unsere Fahrräder plötzlich so nah, dass sich die Lenkstangen ineinander verhakten. So fielen wir beide, nach einigen unglücklichen Schwankungen, auf den harten Asphalt der Straße. Das heißt, nur meine Freundin Hannelore kam direkt auf den Boden. Während ich geradewegs in den aufragenden Lenker meines Fahrrads stürzte. Ein stechender Schmerz jagte durch meinen Körper. Ich schnappte nach Luft und konnte nicht mehr aufstehen. Dann fror ich, klapperte mit den Zähnen, brabbelte flüsternd vor mich hin… Irgendwann merkte ich, dass jemand eine Decke über mich breitete.
Im Krankenhaus bekam ich sofort eine Eisblase auf den Bauch. Dann wurde ich geröntgt, beklopft, abgetastet und es wurde immer wieder Blut abgenommen. Man befürchete einen Riss in der Leber. Fünf Wochen dauerte mein Aufenthalt im Tutzinger Krankenhaus. Und gleich danach wurde ich noch wegen einer akuten Blinddarmentzündung in der Chirurgischen Klinik, in der Lothstraße, in München operiert. Dieser neue Krankenhausaufenthalt zog sich über drei Wochen hin.
In der Zeit legten meine Kolleginnen ihre Abschlussprüfung ab. Und das Examen vor der Bayerischen Ärztekammer war für dieses Jahr vorbei!
Doch was sich mir damals als großes Pech darstellte, sollte sich später als glückliche Fügung entpuppen. Denn durch diese unfreiwillige Verzögerung der Abschlussprüfung, durfte ich in dem großen medizinischen Labor von Prof. Dr. Dr. Dirr hospitieren. Dadurch konnte ich nicht nur etwas Geld für die lange Zwischenzeit verdienen, sondern auch wichtige Kenntnisse für den späteren Beruf einer Medizinischen Laborantin gewinnen.
2. Die Zeit in der Praxs Dr. Stengel
Rückblickend muss ich gestehen, dass ich selbst nach dem Examen, das mir nach dieser langen Vorbereitungszeit sehr leicht fiel, mit nunmehr 20 Jahren noch ein Kind war: Unpraktisch, unorganisiert, romantisch, verträumt, schüchtern und etwas keck zugleich.
Auch meine ersten Arbeitgeber sahen mich darum wohl eher als eine Tochter an, zumal sie keine eigenen Kinder hatten.
Ich hätte keine bessere Anfangsstelle bekommen können, als bei diesen beiden freundlichen Menschen! Bei ihm, einem ruhigen, ausgeglichenen, freundlichen Bayern. Bei ihr, einer aparten, lebhaften, kameradschaftlichen Frau aus Kärnten. Kennengelernt hatten sich die Ehegatten beim Wandern in den Alpen.
Dr. Stengel war Internist, wie sein verstorbener Vater. Als einziges Kind, hatte er das schöne Haus und zugleich die Praxis in der Uhlandstraße geerbt.
Ein kurzer Weg vom Münchner Hauptbahnhof brachte mich jeden Morgen dorthin. Hohe Räume mit stuckverzierten Decken, mit Eichenparkett, persischen Läufern, holländischen Fliesen in den Waschräumen und zahlreichen Türen. Sie alle führten nicht nur zu den verschiedenen Zimmern, sondern verbanden diese auch miteinander. Der geräumige Warteraum lag ganz links vom Eingang neben dem Behandlungszimmer, dahinter kam das Büro. Im Flur, gegenüber, befand sich die Toilette und hinter einer Windung des großzügigen Vorraumes lagen die Wohnräume des Ehepaars Stengel. Daneben gab es aber noch eine zweite Küche und ein großes Wohnzimmer, in dem die alte Mutter des Arztes mit ihrer Haushälterin, Walli, wohnte. Von dieser Küche aus, wehte jeden Mittag ein betörender Geruch nach feinsten Speisen bis in mein Labor, während es weiter vorne, wo die österreichische Küche begann, meistens nach Bratkartoffeln roch.
Als junges Küken, wurde ich in der Mittagszeit mit mancherlei Genüssen verwöhnt! Nur sollte die eine Köchin nicht merken, dass mich die andere ebenfalls mit Kuchen und Lebkuchen, mit Kakao und Kaffee und mit anderen Speisen fütterte!
Dies zu verbergen, fiel mir nicht schwer, da mein Arbeitsplatz ganz weit hinten, am Ende des langen, geknickten Gangs lag. Ein helles, schmales, schlauchartiges Zimmer mit einer abwaschbaren Arbeitsplatte, mit Bunsenbrenner, Laborschränken, zwei Waschbecken und natürlich mit Erlmayerkolben, Bechergläsern, Chemikalien und Pipetten. Ein Autoclav zum Sterilisieren war auch vorhanden und ein binokulares Mikroskop mit einem drehbaren Sessel davor.
Mein Schreibtisch mit der mechanischen Schreibmaschine sowie einige Fachbücher befanden sich in dem zweiten Abschnitt des gestreckten Raums, der noch mit einer Glastür zum Park hinunter zeigte. Unsere Patienten kamen meist direkt aus dem Besprechungszimmer zu mir. Sie brachten einen Zettel mit, auf dem stand, welche Labor-Untersuchungen gemacht werden sollten. Manchmal begleitete sie auch der Doktor nach hinten.
In der Sprechstunde aber half ihm Frau Stengel, die auch die Karteikarten und die Bücher führte. Leider ging diese harmonische Zeit in der Uhlandstraße doch irgendwann zu Ende. Von vornherein hatte ich gewusst, dass mich die überschaubare Praxis nicht vollzeitig beschäftigen konnte. Sie ist mir jedoch in bester Erinnerung geblieben.
3. Kultur, damals in München
Trotz des geringen Einkommens, war meine Münchner Zeit auch geprägt von besonders vielen schönen und kulturellen Eindrücken. Von häufigen Konzert- und Theaterbesuchen, von Opern und Kunstausstellungen und von spannenden Besuchen im Deutschen Museum. Meistens fuhren wir in einer kleinen Gruppe mit der Bahn von Gauting nach München. Wir, das waren meine Brüder, ein Cousin, meine Freundin Hannelore und vor allem die Heckl – Kinder*. Wir alle hatten wenig Geld zur Verfügung aber irgendwie schafften wir es doch, diese interessanten Ausflüge zu unternehmen. Und der gutherzige Stephan Kren, der gerade in München Musik studierte, versorgte uns mit Freikarten für die Konzerte.
Ein besonderes Erlebnis mit dem Ehepaar Stengel möchte ich aber noch zum Schluss erwähnen. Da sie beide wussten, dass ich gerne Opern oder Operetten mochte, wurde ich von ihnen zu einer der ersten Aufführungen von „My fair Lady“ mit Carola Ebeling in München eingeladen. Anschließend kehrten wir im Bayerischen Hof ein und mein alter Chef erzählte manches aus seiner Familiengeschichte, die irgendwie auch mit Franz Joseph Strauß und mit dem Bayerischen Hof und überhaupt mit der schönen Stadt München verbunden war…
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