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Erinnerungen Kapitel 18 meine Berufsfindung

1. Der Unfall

Es war nach dem Sieg der deutschen Fußballmannschaft über Ungarn. Tagelang gab es dieses Thema im Radio und in der Presse! Ein Rausch der Freude hatte uns alle erfasst.

Aufgekratzt radelten auch wir Freundinnen am nächsten Morgen, wild gestikulierend, zum Gautinger Bahnhof. Wir waren früh dran. Ich wollte rechtzeitig in der Schule sein, denn die Vorbereitungen für das Examen standen bevor.

Steffi und Jo lernen für das Examen

Bei diesen lebhaften Diskussionen aber kamen sich unsere Fahrräder plötzlich so nah, dass sich die Lenkstangen ineinander verhakten. So stürzten wir beide, nach einigen unglücklichen Schwankungen, auf den harten Asphalt der Straße. Das heißt, nur meine Freundin Hannelore fiel direkt auf den Boden. Während ich mit einem hohen Schrei geradewegs auf dem aufragenden Lenker meines Fahrrads landete. Ein stechender Schmerz jagte durch meinen Körper. Ich schnappte nach Luft und konnte nicht mehr aufstehen. Dann fror ich, klapperte mit den Zähnen, brabbelte flüsternd vor mich hin. Irgendwann merkte ich, dass jemand eine warme Deckte über mich breitete.

Im Krankenhaus bekam ich sofort eine Eisblase auf den Bauch gelegt. Dann wurde ich geröntgt, beklopft, abgetastet und es wurde immer wieder Blut abgenommen, um eine innere Blutung auszuschließen. Fünf Wochen dauerte mein Aufenthalt im Tutzinger Krankenhaus. Und gleich danach wurde ich noch wegen einer akuten Blinddarmentzündung in der Chirurgischen Klinik, in der Lothstraße, in München operiert. Der erneute Krankenhausaufenthalt zog sich über drei Wochen hin.

In dieser Zeit legten meine Kurskolleginnen ihre Abschlussprüfung ab. Das Examen vor der Bayerischen Ärztekammer war für dieses Jahre vorbei!

Doch was sich mir damals im ersten Moment als großes Pech darstellte, sollte sich später als glückliche Fügung entpuppen. Denn durch diese unfreiwillige Verzögerung der Abschlussprüfung, durfte ich in dem großen medizinischen Labor von Prof. Dr. Dr. Dirr hospitieren. So konnte ich nicht nur etwas Geld für die lange Zwischenzeit zurücklegen, sondern auch wichtige Kenntnisse für den späteren Beruf einer Medizinischen Laborantin gewinnen.

 

2. Die Zeit in der Praxs Dr. Stengel

Rückblickend muss ich gestehen, dass ich selbst nach dem Examen, das mir nach der langen Vorbereitungszeit sehr leicht fiel, mit nunmehr 21 Jahren noch ein Kind war: Unpraktisch, unorganisiert, romantisch, verträumt, schüchtern und etwas keck zugleich.

Auch meine ersten Arbeitgeber sahen mich darum wohl eher als eine Tochter an, zumal sie selber keine eigenen Kinder hatten.

Ich hätte keine nettere Anfangsstelle bekommen können, als bei diesen beiden freundlichen Menschen. Bei ihm, einem ruhigen, ausgeglichenen Chef, der mich im Aussehen an den Schauspieler Siegfried Lowitz erinnerte. Bei ihr, einer aparten, lebhaften, kameradschaftlichen Frau aus Kärnten. Kennengelernt hatten sich die beiden Ehegatten beim Wandern in den Alpen.

Dr. Stengel war Internist, wie sein verstorbener Vater. Als einziges Kind, hatte er das Haus und die Praxis in der Uhlandstraße geerbt.

Ein kurzer Weg vom Münchner Hauptbahnhof brachte mich jeden Morgen zu diesem alten, gepflegten Gebäude. Hohe Räume waren darin zu bewundern, mit stuckverzierten Decken, mit Eichenparkett, persischen Läufern, holländischen Fliesen in den Waschräumen und mit zahlreichen Türen. Sie alle führten zu den verschiedensten Zimmern und verbanden diese auch miteinander. Der geräumige Warteraum lag ganz links vom Eingang neben dem Behandlungszimmer, dann kam das Büro. Über dem Flur, gegenüber, befand sich eine Toilette und hinter einer Windung des großzügigen Vorraumes lagen die Wohnräume des Ehepaars Stengel. Daneben gab es aber noch eine zweite kleine Küche und ein großes Wohnzimmer, in dem die alte Mutter des Arztes mit ihrer Haushälterin lebte. Von dieser Küche aus, wehte jeden Mittag ein betörender Geruch nach feinsten Speisen bis in mein Labor, während es weiter vorne, wo die österreichische Küche begann, meistens nach Bratkartoffeln roch.

 

Als junges Küken in diesen beiden gesetzten Haushalten, wurde ich in der Mittagszeit oft mit mancherlei Genüssen verwöhnt! Nur sollte die eine Köchin nicht merken, dass mich die andere ebenfalls mit Kuchen und Lebkuchen, mit Kakao und Kaffee und mit anderen Speisen fütterte!

Dies zu verbergen, fiel mir nicht schwer, da mein Arbeitsplatz ganz weit hinten, am Ende des langen, geknickten Gangs lag. Ein helles, schmales Zimmer mit einer abwaschbaren Arbeitsplatte, einem Bunsenbrenner, Laborschränken, Erlmayerkolben, Bechergläsern, Chemikalien und Pipetten. Ein Autoclav zum Sterilisieren war auch vorhanden und natürlich ein binokulares Mikroskop mit einem drehbaren Sessel davor.

Mein Schreibtisch mit der mechanischen Schreibmaschine sowie einige Fachbücher befanden sich dagegen in dem zweiten Abschnitt des gestreckten Raums, der mit einer Glastür zum Park hinaus zeigte. Unsere Patienten kamen meistens direkt aus dem Besprechungszimmer zu mir. Sie brachten einen Zettel mit, auf dem stand, welche Labor-Untersuchungen gemacht werden sollten. Manchmal begleitete sie auch der Doktor nach hinten.

In der Sprechstunde aber half ihm Frau Stengel, die auch die Karteikarten und die Bücher führte. Leider ging diese harmonische Zeit in der Uhlandstraße doch irgendwann zu Ende. Von vornherein hatte ich gewusst, dass mich die Praxis nicht voll beschäftigen konnte.

Sie ist mir jedoch in bester Erinnerung geblieben.

3. Kultur,  damals in München

Trotz des geringen Einkommens, war meine Münchner Zeit auch geprägt von besonders vielen schönen und kulturellen Eindrücken. Von häufigen Konzert- und Theaterbesuchen, von Opern und Kunstausstellungen und von spannenden Besuchen im Deutschen Museum… Meistens fuhren wir in einer kleinen Gruppe mit der Bahn von Gauting nach München. Wir, das waren meine Brüder, ein Cousin, meine Freundin Hannelore und vor allem die Heckl – Kinder*. Wir alle hatten wenig Geld zur Verfügung aber irgendwie schafften wir es doch, diese interessanten Ausflüge zu machen. Und der gutherzige Stephan Kren, der gerade in München Musik studierte, versorgte uns dabei mit Freikarten für die Konzerte.

Ein besonderes Erlebnis mit dem Ehepaar Stengel möchte ich aber auch noch zum Schluss erwähnen. Da sie beide wussten, dass ich gerne Opern oder Operetten mochte, wurde ich von ihnen zu einer der ersten Aufführungen von „My fair Lady“ mit Carola Ebeling in München eingeladen. Anschließend kehrten wir im Bayerischen Hof ein und mein alter Chef erzählte manches aus seiner Familiengeschichte, die irgendwie auch mit Franz Joseph Strauß und mit dem Bayerischen Hof und überhaupt mit der schönen Stadt München verbunden war.

J. A.

Neues Rathaus, Glockenspiel

Glückenspiel – Schäfflertanz in München am Marienplatz

* Die Heckl Kinder waren eigentlich Teenager und hießen Heidrun, Herwig und Helga. Bis heute stehen wir in Verbindung