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Wenn Petersil und Suppenkraut versagen

Nach den Sommer-Ferien, freute ich mich immer wieder auf die Schule. Das mag lustig klingen! Aber diese Freude hing auch mit den vielen schönen Kreis – Sing- und Laufspielen zusammen, die wir in jeder Pause im Schulhof zelebrierten. Wir, das waren fast nur wir Mädchen. Die Schülerinnen der 1. bis 4. Klasse der Gautinger Grundschule. Bis heute sind sogar noch einige Freundschaften aus dieser ersten Schulzeit geblieben.

Aber welche Lieder wurden von uns damals gesungen? Was sollten diese Texte bedeuten? Gab es vielleicht eine zweite Botschaft in manchen Reigenspielen? Ein Klagen oder gar ein Aufbegehren aus längst vergangenen Zeiten?

Stolzer König, was suchst du hier?

Oder was ist dein Verlangen?

Hast du eine Geliebte hier,

so stehe auf und nimm sie dir.

Halt sie fest und halt sie warm.

Halt sie in dem starken Arm.

Und gib ihr zum Abschied einen Kuss,

weil sie von dir scheiden muss!

Dieses Lied begleitete eines unserer beliebtesten Kreisspiele, in dem sich ein „König“ ein Mädchen aussuchen durfte. Nach einer Umarmung, wurde das Mädchen aber wieder fort geschickt, sozusagen verstoßen.

Oder ein anderes Spiel, das wie „Ziehe durch die goldne Brücke…“ gesungen wurde…

Machet auf das Tor, machet auf das Tor.

Es kommt ein goldner Wagen.

Wer sitzet denn darin wer sitzet den darin?

Ein Mann mit goldnen Haaren.

Was will er denn? Was will er denn?

Er will die Tochter holen!

Was hat sie denn getan, was hat sie denn getan?

Sie hat sein Herz gestohlen.

Bei diesem Text stelle ich mir die goldene Kutsche von „August dem Starken“ vor, der sich nicht nur mit der Gräfin Cosel, sondern gerne auch mit vielen schönen Mädchen aus dem Volke traf….

Was später aus diesen jungen Geschöpfen wurde, kann man in alten Büchern lesen. Es gibt auch genügend Theaterstücke und Opern zu diesem Thema. Und es muss natürlich nicht immer ein adeliger Herr sein, der ein Mädchen verführt und in große Not gebracht hat. (siehe Faust I)

Manchmal wurde das Mädchen vielleicht auch von den jungen Herrn geheiratet, wie es im Märchen heißt? Oder zur Mätresse bestimmt. In einigen Geschichten vermählt sie der feine Herr mit seinem Kammerdiener (Figaros Hochzeit) oder mit einem Förster (bei Turgenjew). Aber meistens schickte man sie doch wieder nach Hause…

Vielleicht erging es ihr dann so, wie dem jungen Mädchen in einem anderen Lied, das wir damals auch ganz unbeschwert sangen?

Petersil und Suppenkraut wachsen in dem Garten.

Unsre Liese ist die Braut.

Will nicht länger warten!

Warum kann die junge Braut nicht mehr länger warten? Ganz einfach: Nachdem weder Petersilie noch Liebstöckel, mit denen man früher abgetrieben hat halfen, musste schnell ein Ehemann gefunden werden. Die Mutter rät der Tochter zu heiraten, um die Ehre der Familie zu retten. So waren damals die Sitten, auch im Volk. Und selbst wenn man eine schöne Tochter (oder ein Mündel, wie in der Oper „Der Wildschütz“ von Albert Lortzing) sogar für 10 000 Taler an den edlen Herrn verkaufen konnte. Schwanger durfte sie nicht ins Dorf zurück kehren

„Den Brautkranz zerreissen die Buben ihr…“ wie Lieschen zu dem unglücklichen Gretchen (Faust I) über das arme Bärbelchen verrät.

Vielleicht sollten sich die Töchter lieber ganz verweigern? Ein Weberlied klingt so:

Es ritten drei Reiter wohl über den Rhein,

bei einer Frau Wirtin, da kehrten sie ein.

Tritt auf und tritt nieder

schieß durch und schlag nieder

tritt auf!

Wo habt ihr das schöne Töchterlein?

Es wollen sie Fürsten und Grafen frein.

Tritt auf und tritt nieder….etc.

Einen Fürsten und Grafen, den mag ich nicht.

Einen schneeweißen Weber versag ich nicht.

Tritt auf und tritt nieder….etc.

Einen schneeweißen Weber, den muss ich han

und wenn ich ihn sollt aus der Erde grabn.

 

Mit dem „schneeweißen Weber“ sei, wie Olga Hensel vermutet, Christus* gemeint.  Das junge Mädchen wolle lieber in ein Kloster gehen, als die Geliebte eines Fürsten zu werden.  

So harmlos unsere fröhlichen Kinderspiele von damals auch waren. So grausam schimmert noch heute die Not der Frauen von damals hervor.

J. A.

* Wie mir Frau Dr. Heidi Christ (Forschungsstelle für fränkische Volksmusik in Uffenheim) schreibt, dürfte in dem Lied doch nicht Christus gemeint sein. Vielmehr sei die junge Frau entschlossen, einen Weber zu heiraten – oder lieber eine Witwe zu sein, als die Geliebte eines Reiters.

Das Lied soll aus dem 16. Jahrhundert stammen.